Heilpädagogisches Reiten

Heilpädagogisches Reiten ist eine ganzheitliche Therapieform. Unsere Klienten werden auf der sozialen, emotionalen, kognitiven und motorischen Ebene angesprochen und gefördert. Diese Bereiche beeinflussen sich in einer Wechselwirkung. Im Vordergrund steht nicht die reiterliche Ausbildung, sondern die individuelle Förderung des Klienten. Im Zentrum unserer Arbeit steht die Beziehung zwischen Mensch und Pferd. Sie bietet uns eine natürliche und für den Menschen sinnvolle Plattform, um emotionale und soziale Verhaltensweisen sowie verschiedene motorische Handlungen zu erleben. Unser grösstes Ziel ist es die Selbstwirksamkeit beim Menschen zu fördern!    

Sozialer Bereich

Der Umgang mit dem Pferd bietet ein breites Übungsfeld für soziale Verhaltensweisen. Pferde sind Tiere mit einer eigenen Persönlichkeit und sollten nicht als Spielzeug missbraucht werden. Wir behandeln sie wie einen Partner und respektieren sie. Auf Pferde kann man sich verlassen, sie zeigen ein konstantes Verhalten. Pferde haben ein gutes Gespür für Stimmungen und geben uns eine dementsprechende Rückmeldung. Wird ein Pferd falsch behandelt reagiert es umgehend darauf. Sie fordern uns Menschen auf zu kommunizieren und zu reagieren. Der Klient erlebt im Umgang mit dem Pferd die direkte Rückmeldung seines eigenen Tuns. Beispielsweise erfordert das Führen eines Pferdes Mut, ein klares Auftreten und Durchsetzungskraft. Der Klient wird immer wieder vor knifflige Situationen gestellt, in denen er aktiv werden muss. Hat er eine solche Aufgabe gemeistert, erfüllt es ihn mit Stolz und er wird in seinem Selbstwert gestärkt.

Das Pferd fordert den Klienten immer wieder auf, mit ihm in Kontakt zu treten. Es entsteht eine Interaktion zwischen Mensch und Pferd. Erst durch Respekt und gegenseitiges Vertrauen ist die Basis für eine Beziehung gelegt. Die Arbeit findet über das Beziehungsdreieck Klient, Pferd und Therapeut statt. Die Reitpädagogin übernimmt in dieser Konstellation die vermittelnde Rolle.  

Emotionaler Bereich

Pferde sprechen uns auf der Gefühlsebene an und können eine Vielzahl von Emotionen in uns auslösen. Pferde akzeptieren uns Menschen so wie wir sind, sie werten nicht. Die Grundstimmung wird durch das Zusammensein mit dem Pferd positiv beeinflusst. Bedürfnisse wie Zuwendung, Geborgenheit und Angenommen sein können befriedigt werden. Es kann ein Gefühl von innerer Ruhe und Sicherheit entstehen. Die positiven Erlebnisse, welche Kinder und Erwachsene mit dem Pferd erleben, stärken ihre Persönlichkeit.  

Das Bedürfnis, sich emotional mit dem Pferd auseinander zu setzen ist sehr individuell. Dies muss von der Reitpädagogin berücksichtigt werden und darf nicht vorausgesetzt werden. Daher ist es wichtig, dass der emotionalen Kontaktanbahnung genügend Zeit eingeräumt wird.  

Fazit zu sozial-emotionalem Bereich

Grundbedürfnisse werden im Umgang mit dem Pferd nachbefriedigt. Gegenüber dem Pferd beziehungsweise dem Menschen wird Vertrauen aufgebaut. Häufig führt dies zu einer starken Freundschaft. Man lernt aufeinander Rücksicht zu nehmen, einander zu helfen aber auch Hilfe anzunehmen. Insgesamt wird unser Verantwortungsbewusstsein gestärkt. Probleme werden selbständig oder im Team gelöst und Ängste überwunden. Ziel dieses Bereiches ist eine positive Veränderung des eigenen Verhaltensmusters und die Stärkung des Selbstvertrauens.

Kognitiver Bereich

Kognition ist der Begriff, der im Bezug auf die Informationsverarbeitung des Menschen verwendet wird. Bestimmte Lernprozesse laufen bewusst ab, es gibt aber auch Situationen in denen der Mensch unbewusst lernt. Der Mensch braucht eine gewisse Motivation zum lernen. Kognitiv beeinträchtigte Menschen sind sehr bedürfnisorientiert und emotional. Entspricht eine Tätigkeit ihren Vorstellungen, lernen und behalten sie die Information besser.  

Durch das Arbeiten rund um das Pferd wird der Wortschatz mit spezifischen Wörtern ergänzt. Beispielswiese das Benennen von Putzutensilien, Körperteilen des Pferdes und des Menschen. Je nach Klient werden neue Gebärden gelernt oder er wird aufgefordert die bereits gelernten Gebärden bei der Arbeit mit dem Pferd anzuwenden. Die Kommunikation aller Beteiligten kann durch Piktogramme unterstütz und Arbeitsabläufe damit verständlicher gemacht werden. Das stetige Wiederholen von Arbeitsabläufen gibt Sicherheit und führt mit der Zeit dazu, dass Tätigkeiten selbstständig ausgeführt werden können. Der Klient lernt Anweisungen zu befolgen und kann mit der Zeit gegenüber dem Pferd und seinen Mitmenschen umsichtiger handeln. Er lernt Wünsche zu äussern und Anweisungen zu erteilen. Unser Ziel ist es, dass der Klient im Rahmen seiner Möglichkeiten immer selbständiger wird und bei Unklarheiten fähig ist, Hilfe einzufordern. Dies kann verbal, durch Gebärden, mit Hilfe von Piktogrammen oder Mimiken erfolgen.  

Räumliche Orientierung wird zuerst im kleinen Rahmen erfahren und kann den Fähigkeiten des Klienten entsprechend erweitert und gefördert werden. Dies gilt bei der Orientierung im Stall, bei der Arbeit rund um das Pferd, auf dem Reitplatz oder einem Parcours und nicht zuletzt beim Reiten in der Natur. Räumliche Begriffe wie unten, oben, links oder rechts  kann das Kind direkt erleben und so besser begreifen.  

Fazit zum Kognitiven Bereich

Dieser Bereich beinhaltet das Verstehen und Umsetzten von Anweisungen und Handlungsmustern sowie Kausalitäten. Die Sprachbereitschaft und die Ausdrucksmöglichkeit wird gefördert. Bei der Raumorientierung lernen die Kinder räumliche Bezeichnungen kennen und verstehen. Die Reaktions-, Konzentration- und Ausdauerfähigkeit des Klienten wird gesteigert.

Motorischer Bereich

Die Wärme und die Bewegung des Pferdes wirkt auf uns lösend und entspannend. Durch das rhythmische Getragen werden, können frühkindliche Defizite aufgearbeitet werden.  

Die Losgelassenheit und die Gleichgewichtsfindung des Klienten wird durch die Bewegung des Pferdes aktiv unterstützt. Ich finde es spannend, dass das Pferd auf den drohenden Verlust der Balance gleichgewichtserhaltend reagiert. Es versucht immer unter den Schwerpunkt zu treten, um das Gleichgewicht zu wahren. Speziell ausgebildete Therapiepferde halten bei einer solchen drohenden Gefahr an. 

Die dreidimensionale Rotationsbewegung, welche vom Pferd auf den Menschen, insbesondere auf sein Becken produziert wird, wirkt zuerst lösend und dann muskelaufbauend. Die Muskulatur des Rumpfes wird dabei gestärkt, es führt zur besseren Regulation des Muskeltonus. Die Reaktionsfähigkeit und die Koordination der Gliedmassen werden auf dem Pferd in verschiedener Weise trainiert. Der Klient wird so vom passiven sich tragen lassen zu einem aktiven Bewegen auf dem Pferd animiert. Er erhält neue Körper- und Bewegungsimpulse, wodurch sein Körperbewusstsein weiter ausgebildet wird.

Fazit Motorischer Bereich

Durch gezielte Übungen ist es möglich, motorische Auffälligkeiten und Defizite abzubauen. Ziel ist es, den eigenen Körper zu spüren und sich als Ganzes wahrzunehmen.

Sinneswahrnehmung

In der Reittherapie ist es möglich alle Sinne zu aktivieren. Das Pferd und seine Umgebung bietet uns unzählige Möglichkeiten sensorische Erfahrungen zu machen. Nachfolgend nenne ich zu jeder Sinneswahrnehmung ein paar praktische Beispiele.  

Visuelle Wahrnehmung 

  •   Das Pferd erkennen
  •  Die Farbe des Pferdes erkennen
  •  Beobachten des Pferdes
  • Das Verhalten der Pferde in der Herde beobachten

Taktile Wahrnehmung

  • Wärme des Pferdes
  • Unterschiedliche Haarstrukturen
  • Feuchte / Trockene Stellen im Fell
  • Beschaffenheit der unterschiedlichen Putzutensilien
  • Futter (Stroh, Heu, Kraftfutter)

Olfaktorische Wahrnehmung

  • Heu, Stroh
  • Pferd
  • Huf
  • Pferdeäpfel
  • Stall
  • Leder
  • Wetter und Jahreszeiten

Gustatorische Wahrnehmung

  • Mit dem Mund das Pferd erforschen (Haare)
  • Probieren des Pferdefutters (Kraftfutter, Heu, Leckerli, Salzleckstein usw.)
  • Regentropfen

Akustische Wahrnehmung

  • Kauen
  • Scharen
  • Schnauben / Wiehern
  • Klang der Hufe
  • Natur (Vögel, Wasser, Wind, Regen usw.)